(2) Verena Schade in Brasilien — Tiradentes, eine Stadt und ihr Zahnzieher

Tiradens

Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Tiradens im Bundesstaat Minas Gerais. Meine Freunde haben zwei Hunde, Cleo und Billy. Cleo will unbedingt mitfahren und benimmt sich musterhaft. Billy will auch mit und findet es gar nicht gut, dass er zuhause bleiben muss.

Es dauert, bis alle soweit sind — in Brasilien dauern alle Dinge etwas länger, der Zeitbegriff ist hier auch ein ganz anderer. Farley erklärt wohin und wie lange wir fahren und dann geht es los. Getankt werden muss auch noch, und welch ein Luxus, man braucht es hier nicht selbst zu erledigen, hier gibt es noch Tankwarte die das für einen machen. Die Benzinpreise sind fast so hoch wie in Deutschland, variieren aber von Stadt zu Stadt. So, der Tank ist voll und es geht los.

Der Held aus Tiradens

In Minas Gerais, dem brasilianischen Bundesstaat wurde ein Mann geboren mit komplettem, bürgerlichem Namen „Joaquim José da Silva Xavier Ordner“. Seine Eltern verstarben früh und so wurde er von seinem Lehrer großgezogen, der gleichzeitig Chirurg war. So lernte er, Zähne zu ziehen, deshalb nannte man ihn Tiradens  (portugiesisch: Zahnzieher)

Tiradens führte die Oposition im Land an und nachdem die Gruppe um ihn verraten wurde wurde er als Einziger hingerichtet. Noch heute ist er ein brasilianischer Volksheld und sein Todestag, der 21 April, ist bis heute ein nationaler Feiertag.

Ein raffinierter Imbiss zwischendurch

Wir machen seiner Statue unsere Aufwartung und fahren weiter. In einem Rasthaus an der Straße entdecken wir eine Spezialität der Gegend, die die Erwähnung verdient:. Pao de Queijo. Brasilianisches Raquelette sozusagen. Dazu wird ein Stück Brot geröstet und ein kleiner Käselaib unter einer Wärmequelle zum Schmelzen gebracht. Und wenn er dann so richtig schön fließt, der Käse, kommt er ohne Umwege auf das duftende Brot.

Es war einfach köstlich und mit vollem Magen können wir weiterfahren.

Wie Farley versprochen hatte, erreichen wir bald Tiradens und kommen grade zur rechten Zeit um den nostalgischen Zug einfahren zu sehen.

Ein altes Schätzchen, das noch heute funktioniert

Die Linie der MARIA FUMAÇA war 1880 die zweite, in Minas Gerais gegründete Eisenbahnlinie. Als Transportmittel, für die Minen gebaut, hat die Schmalspurbahn auf 76 cm Spurbreite ihren Dienst bis heute nicht einmal unterbrechen müssen. Auf der Strecke von Tiradens bis Sâo João Del Rei kann man als Passagier mitreisen. Hier ist man nach mehr als 100 Jahren stolz auf diese Dampflinie, die immer noch wie am Schnürchen funktioniert, und, wie man sieht täglich poliert wird.

Eine Puppenstube als Unterkunft

Wir fahren in eine wirklich entzückende Pousada, in der wir übernachten werden. Pousadas nennt man kleine Hotels oder besser gesagt Pensionen, die meist sehr klein, individuell und preiswert sind. Wir haben hier pro Person ca. 60 Euro bezahlt,  es war Hochsaison. Viel Luxus gibt es nicht, aber Aircondition, ein leckeres Frühstück und einen Pool haben die meisten Pousadas.Unsere Pousada ist eigentlich  ein kleines Museum, liebevoll restaurierte Gebäude und eine sehr lustige kreative Dekoration.

Bald geht die Sonne unter, und was gibt es Besseres, als einen Caipirinha zur blauen Stunde und eine gemütliche Bar auf dem Dorfplatz, von der aus wir das Treiben beobachten können. Ein köstliches Gericht aus Schweinefleisch mit einer knusprigen Kruste vertilgen wir mit großer Lust.

Ein herrlicher Marktplatz

Das Örtchen Tiradens, gibt es nachweislich schon seit 1702. Es hat heute ungefähr 7.000 Einwohner . Mittlerweile haben sich hier viele Künstler niedergelassen und die pittoreske Schönheit des Städtchens zieht viele Touristen an.

Überlebenskünstler, die sich ständig neu erfinden

Am nächsten Morgen, nach einem wunderbaren Frühstück, fahren wir zum Shopping in den kreativen Werkstätten der Umgebung.Die Brasilianer sind Überlebenskünstler und ihre Kreativität ist bemerkenswert. Auf meine Frage, woher diese Kreativität kommt antwortete mir Farley „ Je größer der Mangel, desto größer die Fähigkeit aus nichts etwas zu machen“

Ja, das stimmt und so mancher Brasilianer verdient sich mit genau dieser Kreativität seinen Lebensunterhalt. Die Lebensfreude, der Enthusiasmus die Leichtigkeit, und die Fähigkeit mit den Widrigkeiten des Alltags fertig zu werden, und die Dinge nicht allzu ernst zu nehmen ist eine der größten Stärken des Landes.

Essen hält auch hier Leib und Seele zusammen

Shopping ist anstrengend und so gehen wir zum Lunch zu Angela. Bei ihr ist alles sehr bodenständig, und das Essen gibt es gleich aus dem Topf auf den Teller. Eben wie bei Muttern. Es ist einfach köstlich. Brasilianisches Essen hat fast immer drei Standard-Beilagen: Reis, Bohnen und gemahlener Manjok, der ein bißchen an die Konsistenz von Sägemehl erinnert, und eigentlich auch nach nichts schmeckt, aber……es heißt ja auch Sättigungsbeilage, die sind in Deutschland ja auch nicht immer super schmackhaft. Ich war schon einmal hier und finde, dass Angela  noch genauso jung aus sieht wie vor fünf Jahren. Manoel übersetzt es und da ´muss sie lachen.

Auch der Nachbar ist sehr beschäftigt und kocht irgendetwas, was er anschließend in Gläser füllt und verkauft. Ich verstehe nicht, was es ist, aber es riecht fantastisch.Ich überlege, was wohl die deutschen Behörden sagen würden, wenn sie sich hier die Lebensmittelproduktion ansähen. Zu allererst bekäme ja mal jeder ein weißes Häubchen auf die Frisur gesetzt und danach müsste man wahrscheinlich den Antrag für die Berufsgenossenschaft ausfüllen.

Satt und zufrieden fahren wir ein bisschen spazieren und finden einen natürlichen Swimmingpool inklusive und finden auf unserem Weg eine Galerie, die indianische Kunst anbietet. Ich bin sehr beeindruckt und überlege mir ernsthaft einen Kauf. So richtig hungrig sind wir nicht. Also genießen wir wieder das Treiben auf dem Hauptplatz von Tiradens, trinken unseren Caipirinha und  weil wir so viel zu Mittag gegessen haben, naschen wir ein paar frittierte Manjok Wurzeln. Das reicht für heute.

Hezte fahren wir noch einmal am schiefen Haus vorbei zu dem tollen Wasserfall und kaufen in einer Brennerei ein paar leckere Flaschen Cachaca. Wir bummeln durch die Werkstätten und Läden der Umgebung aber wir sind ein bisschen schlapp — kein Wunder: bei fast 40 Grad und 100-prozentiger Luftfeuchtigkeit.

Sklaven, Minen und 480 kg Gold

Am frühen Abend sind wir wieder fit und so klettern wir den Berg hoch, auf der die bedeutendste Kirche von Tiradens steht. São Francisco de Paula wurde 1708 von Sklaven errichtet. Mit 480 kg Gold wurde diese Kirche geschmückt.  In einer Nische findet man Abbildungen von Gottheiten aus dem Candomblé, die von der katholischen Kirche geduldet wurden. Man sagt, dass das Gold, das in den Kirchen verbaut wurde, von den Sklaven heimlich in den Minen gestohlen wurde um es in den Kirchen zu verbauen. Sie versteckten  das kostbare Gut in Ihren Haaren und unter ihren Fingernägeln.

..born to be wild

Aber nicht nur wir besuchen die Kirche: ein interessantes Gespann aus São Paulo, bestehend aus Trike und Wohnwagen taucht auf. Da ich mir ja auch so gerne ein Wohnmobil kaufen möchte, bin ich sehr interessiert und darf mal probefahren. Das ist sehr schwierig auf dem Pflaster hier, das sowieso gutes Schuhwerk verlangt, denn es stammt aus den Zeiten, als Sklaven diese Stadt errichteten.

Ja, ich gebe es zu: wir sind verfressen und so machen wir uns auf den Weg in eines der zahlreichen Spitzenrestaurants von Tiradens.Farley freut sich, Manoel auch, und der deutsch sprechende Kellner erklärt mir, wie Perlhuhn auf buntem Reis zubereitet wird. Das bestellen wir dann auch. Er ist der einzige Brasilianer, den ich getroffen habe, der deutsch spricht — außer Manoel natürlich, der spricht deutsch wie ein Wasserfall und liebt die Lufthansa. Für das Guavemus und das Guaveeis ist auch noch ein bisschen Platz, bis wir, vom Essen und Trinken erschöpft in die Pousada wanken.

Zurück nach Itaipava

Am nächsten Morgen müssen wir Abschied nehmen und nicht nur wir sind traurig. Ein tropischer Regen, wie man ihn hier in diesen Regionen ständig hat, geht auf uns nieder, macht das Fahren für Farley zwar schwierig, aber die Temperatur fällt und wir fühlen uns ein bisschen erfrischt. Es bleibt kühl und als wir in Itaipava ankommen, sind es nur noch 26 Grad. Toll, so kann es bleiben.



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